Kunst & Kultur

Babylon: Pottoriginale-Roadmovie "BERLIN-Premiere"

15.12

SpielfilmDebüt von Gerrit Starczewski

ca 110 min / In Anwesenheit des Regisseurs und Darsteller Q&A

Tankwart a.D. / VfL Jesus / Uwe Fellensiek / Anthony Arndt / Rene Frauenkron / Klaus Fiehe / DJ HELL

Selbstversuch und Liebeserklärung“ – Pottoriginale-Macher Gerrit Starczewski über sympathische Asis, Killer-DJs und sechs Promille

Gerrit, hast Du Dich wieder mit dem Tankwart versöhnt?

Na klar. Er hat mich angerufen und alles ist wieder ok. Aber ich muss zugeben, dass ich einige Tage ziemlich sauer auf ihn war.

Was hat er gemacht?

An den letzten Drehtagen tauchte er einfach nicht auf, keiner wusste, wo er steckte, bis mir Fans schrieben, dass sie ihn beim Auswärtsspiel in Kiel gesehen hatten. Vielleicht sind das die berühmten Star-Allüren. Die Pottoriginale-Filme haben ihn und Jesus ja doch ziemlich berühmt gemacht, Micha ist jetzt der bekannteste sympathische Fußball-Asi des Landes. Früher hat er sich den Tag schön getrunken, gearbeitet hat sowieso nicht und plötzlich musste er Autogramme geben und zu Drehterminen erscheinen. Damit muss man ja auch erstmal klar kommen.

Sicherlich auch als Regisseur.

Ich mag ihn natürlich trotzdem sehr. Er ist halt ein sehr emotionaler Typ. Gibst du dem zehn Euro und sagst ihm, dass er in einer Stunde 100 Euro bekommt, wenn er den Zehner aufhebt, kauft er sich nach zehn Minuten Kippen und Bier. Er ist ein kleiner Popstar geworden, die Leute erkennen ihn wieder, vollkommen irre. Und deshalb hat er ein paarmal vergessen, worauf es eigentlich ankommt. Am schönsten Drehtag, der Szene auf der Zeche Hugo, mit DJ Hell als Killer, Uwe Fellensiek als Leiche, alles richtig geil, kam er drei Stunden zu spät und das Licht war weg. Aber der Typ ist ja auch geil. Er und Jesus, was das für Figuren sind, ey. Meine Freunde haben mich am Anfang gefragt, ob ich bescheuert sei, so einen Film zu machen. Ohne Budget, ohne richtiges Drehbuch, zum größten Teil improvisiert, mit Amateuren in den Hauptrollen – aber genau das wollte ich ja. Der Film ist auch ein Selbstversuch, eine neue künstlerische Herausforderung und mehr Independent geht eigentlich nicht. Es gibt so viele Regeln, an die man sich halten sollte, wenn man einen vernünftigen Spielfilm drehen möchte. Ich habe mich an fast gar keine gehalten.

Und was ist das nun für ein Film geworden?

Ein Kultfilm. Weil: die Leute werden den entweder total geil oder total scheiße finden. Und solche extremen Sachen bleiben den Menschen viel länger in Erinnerung. Und es ist ein Heimatfilm, eine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet und die unglaublichen Typen, die es hier noch gibt. Da findet jeder Zuschauer mindestens einen, mit dem er oder sie sich identifizieren kann.

Welche Figuren sind das?

Boah, wie soll man da Einzelne herauspicken? Jeder war auf seine Art und Weise extrem cool. Jeder hatte genügend Freiraum, um sich so zu spielen, wie er es wollte. Uwe a.k.a. Nobby ist ein echter Profi alter Schule, so ein Mann will sich eigentlich auf jede Szene exakt vorbereiten können – was schwierig war bei so viel Improvisation. Und dann steht er doch vor der Kamera und grinst auf Knopfdruck so hämisch und böse, dass man sich fragt, wie er das wohl macht. Anthony durfte als dandyhafter Herrenausstatter auch ein Stück weit sich selber spielen, der ist privat ein totaler Lebemann. Oder Rene, der einen Türsteher spielte, aber im echten Leben das ganze Bochumer Bermudadreieck mit Frittenfett versorgt. DJ Hell als Killer, das war der Hammer. Hell tauchte in Ballerinas auf, solche Toreroschuhe, das waren natürlich die perfekten Killerschuhe! Klaus Hüpper, die Rockerlegende aus dem Pott, spielte Rocker-Klaus, der Geld wäscht und Kontakte zu den ganz schweren Jungs hat – sehr viel schauspielern musste er wohl auch nicht. Den hast du im Film und im Leben gerne als Kumpel, super cooler und verlässlicher Typ. Es gibt noch viel mehr solcher Charaktere. Eine Spezies, die leider ausstirbt.

Warum?

Weil unsere Gesellschaft immer glatter wird, die Menschen immer angepasster Es gibt immer weniger echte Typen und das merkt man in der Musik, im Sport, auch in der Kurve. Die letzten Zechen schließen und mit ihnen wird ein Menschentyp aussterben, der immer stilprägend für diese Region war. Das ist sehr traurig. Vielleicht können wir mit dem Film solchen Typen zumindest ein Denkmal in Bewegtbild setzen.

Woher eigentliche diese Zuneigung für Typen und Originale?

Vielleicht, weil ich selber gerne einer sein möchte und vermutlich auch bin. Ich habe eine klare Haltung, bin ehrlich, direkt und trage das Herz auf der Zunge. Wie die Frauen und Männer im Film sage ich das, was ich denke. Und solche Eigenschaften werden immer seltener.

Was passiert eigentlich, wenn der Film floppt?

Dann bin ich finanziell ruiniert. (Lacht.) Aber die Kohle hat eh nie eine Rolle gespielt, das war eine Herzensangelegenheit, ich wollte mit Konventionen brechen, einen Film drehen und eine geile Zeit haben. Das hat alles geklappt. Wenn die Leute den Film mögen – top – aber davon mache ich es noch nicht mal abhängig. Dass es überhaupt funktioniert hat, ist das Allerbeste. Ende Mai angefangen, Anfang Oktober beendet, 20 Drehtage, Kameramann Björn Henke, Cutter Patrick Rönsch und unvergessliche Erfahrungen. Ich habe Hools aus Duisburg kennengelernt, Kutten aus Herne, Glocken-Horst aus Essen, so viele unvorhergesehene Dinge, so viel Wahnsinn.

Zum Beispiel?

Die Schlüsselszene des Films, den Einbruch bei Westfalia Herne, wo die Jungs den Mittelkreis umgraben, konnten wir nur an einem Tag drehen – am Tag des Aufstiegsspiels von Westfalia in die Oberliga. Einen Tag später wurde damit begonnen, den jahrzehntealten Rasen rauszureißen, um einen neuen Kunstrasenplatz zu verlegen. Inklusive Kampfmittelräumdienst, weil unter dem Platz eine Weltkriegsbombe vermutet wurde. Am Tag des Spiels holten wir morgens den Tankwart ab, der mir am Abend hoch und heilig versprechen musste, nicht so viel zu saufen. Wir kommen zu ihm, klemmt er an seinem Fenster, prostet mir mit Maria Cron zu und ruft: „Ey, Gerrit, du alter Ficker! Ganz Bochum hat heute Nacht geschlafen, bis auf einen. Und der eine bin ich!“ Bei Westfalias Spiel sollte er sich ausruhen, aber dann wurde er erkannt, bekam dauernd einen ausgegeben und war Ende hackenstramm. Die Herner schenkten ihm den Spielball und einen Aschenbecher und damit war für den Tankwart der Tag gelaufen. Drehen wollte er jetzt nicht mehr, außerdem hatte er eine Stunde lang Autogramme geben müssen. Es dauerte eine weitere Stunde, bis wir ihn dann doch umgestimmt hatten. Bei der wichtigsten Szene im Film hat der Hauptdarsteller also etwa sechs Promille im Blut. Ich hoffe, es ist trotzdem geil geworden.


 



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